Donnerstag, 4. August 2016

Wenn Kleinigkeiten die Welt bedeuten

Tag 21

Vor genau 3 Wochen haben wir uns auf den Weg gemacht - heute schon neigte sich unsere Reise dem Ende zu. 21 Tage voll von Eindrücken, Abenteuern und dem Genuss des einfachen Lebens. Das wollten wir zumindest noch für ein paar Stunden auskosten, bevor wir uns voll und ganz der Hektik der deutschen Autobahn hingeben würden. Gleich, nachdem Frau Sonne uns geweckt hatte, schleuderten wir uns ein paar Spitzer Wasser ins Gesicht um wach zu werden. Ein kleines Frühstück und danach Tiefenentspannung am Chiemsee. Kein Wölkchen am Himmel, blanker Sonnenschein, ebenso wie mancher Po der Pampersbomberfraktion, heute mal unten ohne, dafür mit einer Plastikschaufel bewaffnet den Enten hinterher jagen. Nur ein paar Frühmenschen teilten sich die Teppich aus grüner Wiese und Seeblick mit uns.

Meine Zehen überschritten das Ende der Picknick-Decke, die wir auf dem weichen Rasen ausgebreitet hatten. Sanft krallten sie sich in die ausgestreckten Grashalme, zogen sie sanft nach oben. Die Augen vertieft in ein Buch, die Sonnenbrille auf der Nase, die von Zeit zu Zeit einen tiefen Zug der frischen Sommerluft einsog, der Duft des kühlen Seewassers lag in der Luft. Manchmal blickte ich auf und sprach den Menschen, die sich so zeitig schon in das kalte, kristallklare Seewasser trauten, blickhaft tiefste Bewunderung zu.

Bald aber sehnte auch ich mich nach einer Abkühlung, denn die Temperaturen schossen auf einmal kanonenartig in die Höhe. Zunächst so auf die Erfrischung gefreut, stand ich plötzlich am Ufer und starrte die schwappenden Wellen an, wie sie sich zwischen den Kieselsteinen verloren. Mit dem großen Zeh fühlte ich vor und zog ihn direkt wieder zurück. Junge, Junge, ist das kalt! Hätte ich meine Latschen noch angehabt, wäre ich sicherlich aus ihnen gekippt. Aber man wollte sich ja nicht mädchenhaft anstellen. Also nahm ich einen gewaltigen Atemzug, hielt ihn an und marschierte hinein. Bis zu den Knien war das nicht weiter ein Problem, doch bereits dann schon ging mir die Puste aus und ich musste erneut Luftholen. Bald stand ich mit dem halben Körper unter Wasser und war schon eine Spur stolz, bis Danilo mir einen fordernden Blick zuwarf. "Nun ja, ist ja schon gut". Der dicke Otto, der soeben noch die Temperatur gemessen hatte und den Badegang als unmöglich und zu riskant eingestuft hatte, gab unterdessen gar kein Lebenszeichen mehr von sich. Dreiviertel meines Körpers hatten es nun schon geschafft, doch jetzt folgte noch die größte Überwindung: die Schultern unter Wasser zu bringen. Je mehr man doch darüber nachdenkt, desto unmöglicher erscheint es einem den letzten Gang zu machen, die Arme nach vorn zu strecken und mit einem kleinen Abstoßer mit den schon abgefrorenen Füßen Schwimmposition einzunehmen. Drei...zwei...ei...Atmen, atmen, atmen!...NS! Drin! Stolz wie ein König paddelte und ruderte ich wild umher und freute mich, dass ich den Schweinehund besiegt hatte, auch wenn es sich hierbei lediglich um ein Bad im Chiemsee handelte.

Nach der kleinen Planscheinlage meldeten sich bald unsere Mägen. Der Blick in unsere Geldbörsen war jedoch ernüchternd. Dennoch wagten wir den Gang zum Seerestaurant. Mit dem letzten Kleingeld, das wir zusammenschmissen, bestellten wir uns eine Portion Lachs und Kartoffelsalat, die wir uns wie zwei arme Wanderer teilten. Doch die Bedienung hatte ein großes Herz und gegen ein paar Münzen aus Nordischem Gold gab es einen Extraschlag Salat. Den ließen wir uns auch zweimal schmecken! Jetzt war es langsam aber sicher an der Zeit die Zelte ein letztes Mal abzubrechen, Flip startklar zu machen und die letzten Kilometer Asphalt zu schrubben.
Die Stimmung war etwas betrübt, wie das eben so ist am "Heimfahrtag", doch gleichermaßen es aus eben diesem Grund recht ruhig im Auto war, bis auf das Radio, das eine Staumeldung nach der anderen ausspuckte, war jeder von uns auch damit beschäftigt, die vielen tollen Momente und audio-visuellen Erlebnisse Revue passieren zu lassen. Man konnte sich nicht so richtig entscheiden, ob es sehr lange oder sehr kurze 3 Wochen waren. Viele Gedanken, die uns die vielen Stunden auf der Autobahn verschönerten. Da konnte selbst der einbrechende Monsunregen nichts dagegen ausrichten. Ebenso, wie wir Deutschland vor ein paar Wochen verlassen hatten, so zeigte es sich nun auch wieder von seiner nassen Seite.

Es war noch hell, als wir das letzte Ortsschild hinter uns ließen. Heimat. Der Regen hatte sich ausgeregnet, nur ein unglaublicher Sonnenuntergang begrüßte uns hier und sorgte dafür, dass man sich nun doch freute "zu Hause" zu sein.
Gibt es denn jetzt auch ein Fazit zu der ganzen Geschichte? 
- Na, was glaubt ihr denn!

Nun ja, ich möchte nicht undankbar klingen, wenn ich sage, dass 3 Wochen nicht unbedingt eine lange Zeit sind, um auf Reisen zu gehen. In der Regel bin ich kein großer Freund von Urlaubsagenden und Akkuratesse, doch in unserem Fall waren wir darauf angewiesen einen Plan zu haben und uns mehr oder weniger daran zu halten. Nur so konnten wir jeden Tag etwas Unglaubliches erleben. Und das hatte sich wohl auch mehr als gelohnt!

Wie schon so oft zu vor bin ich auch dieses Mal wieder begeistert, was ein Ausflug in das bescheidene Leben, das Hausen in einem VW Passat, das Wildcampen, das Freuen über dreilagiges Toilettenpapier in öffentlichen Toiletten, der Genuss einer wenigstens lauwarmen Dusche bewirken kann und welche ungeahnten Überraschungen es mit sich bringt. Wenn Kleinigkeiten die Welt bedeuten. Wenn man auf ein gutes Essen gerne einmal eine Stunde wartet. Wenn man Kinderlachen nicht als Krach empfindet. Wenn man Fremden einfach so ein Lächeln zuwirft und es entgegnet wird. Wenn ein Blick in die Natur Gänsehaut verursacht. Wenn man sich über die ersten Sonnenstrahlen des Tages freuen kann, anstatt den Rollladen runterzuziehen. Wenn eine tote Autobatterie an einem Sonntag den Erfindergeist statt blanke Verzweiflung weckt. Wenn Bohneneintopf aus der Dose schmeckt - ja dann scheint irgendetwas verdammt richtig zu laufen.

Auch wenn wir von den Kulturen der durchreisten Länder eher wenig mitbekommen haben, so haben wir dennoch ihre Schönheit und Einzigartigkeit verstanden. Wir haben viele Menschen getroffen, die uns gezeigt haben, dass Nichtigkeiten nichtig bleiben sollten und gelernt, dass nur ein wenig Aufwand und Mut dazu beitragen kann fantastische Dinge zu erleben.

Dass es überall hektische Menschen, aufgebrachte und gestresste Touristen gibt, die den Empfehlungen ihres Reiseführers hinterher hechten und uns kleine Menschen dabei über den Haufen rennen, das weiß man. Aber all die Orte zu meiden, an denen man wahrscheinlich auf sie trifft? Das ist auch nicht immer die Lösung. Es ist eine Sache der Einstellung. Manchmal muss man sich dazu zwingen die Lage sachlich und relaxt zu sehen. Wenn alles nichts hilft, dann hilft der Umweg, "denn wenn die Masse nach rechts rennt, muss man bloß nach links abbiegen" und wenn man sich an dieser kleinen Regel orientiert, kann man wirklich genießen und entdecken. Idioten und Rücksichtslosigkeit gibt es eben überall. Auf Reisen und auch im normalen Leben gilt die Kunst des Fuck-you-Status. In der Regel lohnt es sich nicht, sich über dumme Leute aufzuregen oder gar zu diskutieren. Wenn man keinen Profit daraus ziehen kann, dann lässt man es sein, whatever und gibt den "Fuck-you"-Status frei. Einfach ruhig bleiben, mit einem überlegenen Lächeln ignorieren, Blick abwenden und die Situation umkehren. Das muss man lernen und sich eintrichtern, doch dann wirkt es Wunder.
Am Ende von der Geschichte bin ich wahnsinnig froh, dass es möglich ist, sich so frei und unbekümmert durch mehrere Länder bewegen zu können und dass sowohl Danilo als auch ich dafür gemacht sind, uns auch auf engstem Raum zu verstehen und wohlzufühlen. Die nächste, dieses Mal auch größere Tour für nächstes Jahr ist schon in Planung. Doch zuvor gehen wir ein paar Schritte in getrennte Richtungen, denn ich verziehe ich mich für ein halbes Jahr nach Porto, um mein Auslandssemester zu absolvieren. Ich bin schon sehr gespannt auf eine Reise in ein fremdes Land zu gehen, bei der ich an ein und demselben Ort bleiben werde, anstatt durch das Land zu nomaden.  

Viele Abenteuer erwarten uns in 2017 dann gemeinsam und wir sind heute schon total gespannt, wohin der Wind der Veränderung und führen wird. Doch bis dahin müssen noch einige Schweißperlen fließen und Aufwand betrieben werden. Ihr hört von uns!

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